Übung im S-Bahn-Tunnel

Einsätze in Tunneln stellen für die Feuerwehren immer eine besondere Herausforderung dar: Die Wege zur Schadenstelle, aber auch die Rettungswege sind lang, sämtliches Material muss manuell in den Tunnel eingebracht werden, alle Einsatzkräfte müssen unter Atemschutz eingesetzt werden – und die Einsatzdauer bei normalen Atemschutzgeräten ist mit nur ca. 15 bis 20 Minuten kurz. Die Freiwilligen Feuerwehren der Großen Kreisstädte Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen haben auf die Herausforderungen reagiert und eine neue Stoßtrupp-Taktik eingeführt. Diese wurde bei einer Großübung im S-Bahn-Tunnel „Filder“ am Sonntag, dem 10. April 2016, erprobt. Rund 100 Feuerwehrangehörige waren dabei im Einsatz.

Eine Einsatzplanung für Ereignisse im S-Bahn-Tunnel „Filder“ gibt es bereits seit der Einweihung der S-Bahn-Strecke Flughafen – Filderstadt im Jahr 2001. Im Rahmen der Aktualisierung und der Überarbeitung des Notfallplanes für den S-Bahn-Tunnel „Filder“ wurde zur Gefahrenabwehr im bestehenden S-Bahn-Tunnel durch die Freiwilligen Feuerwehren Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen eine neues - interkommunal organisiertes - Einsatzkonzept entwickelt, das auf der so genannten Stoßtrupp-Taktik basiert. Gleichzeitig wurde die Einsatzplanung auf die gesamte S-Bahn-Strecke in den beiden Kommunen erweitert, um ein einheitliches Vorgehen mit der gebotenen hohen Qualität sicherstellen zu können. Die Stoßtrupp-Taktik wird interkommunal eingesetzt, d.h. die Feuerwehren Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen ergänzen sich und kommen im Ereignisfall gemeinsam zum Einsatz.

Die Stoßtrupp-Taktik ist keine Erfindung der Feuerwehren aus Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen, sondern hat sich schon seit einigen Jahren im Feuerwehrwesen etabliert. Sie basiert auf weltweiten Einsatzerfahrungen von Feuerwehren der vergangenen 20 Jahre, insbesondere in der Schweiz. Die Schweiz gilt hinsichtlich der Erfahrungen und der Ausbildung als führend in Europa. Die Landesfeuerwehrschule Baden-Württemberg hat deshalb Ausbildungskapazitäten in der Schweiz an der ifa (International Fire Academy in Balsthal) gebucht, wo baden-württemberger Feuerwehrangehörige ausgebildet werden – auch aus Filderstadt. Allerdings sind die bisherigen Ausbildungen für Einsätze in Straßentunneln konzipiert. Ein gemeinsamer Arbeitskreis der Feuerwehren Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen auf Initiative des stellvertretenden Stadtbrandmeisters von Filderstadt, Andreas Reeh, hat die Straßentunnel-Einsatztaktik dann weiterentwickelt, in einer Straßentunnel-Übung im Mai 2014 erstmals getestet und auf die örtlichen Verhältnisse angepasst. Dazu gehört insbesondere auch der universelle Einsatz der Stoßtrupp-Taktik im S-Bahn-Tunnel und in Straßentunneln sowie in Tiefgaragen oder großen Industriehallen.

Während bei der Feuerwehr ein unter Atemschutz vorgehender Einsatztrupp normalerweise aus zwei, maximal drei Feuerwehrangehörigen besteht, besteht der Stoßtrupp aus fünf Einsatzkräften unter Leitung eines Gruppenführers. Das heißt, die Feuerwehr geht bei Schadenereignissen in Tunnelanlagen mit fünf statt mit zwei Einsatzkräften vor. Auf diese Weise sind die vorgehenden Einsatzkräfte schlagkräftig, können das benötigte Material (zum Beispiel Wärmebildkamera, Schläuche, Rettungsgeräte) direkt mitführen und sind leistungsfähiger auch bei den Aufgaben „Brandbekämpfung“ oder „Menschenrettung“. Durch die Führung mittels einer Führungskraft der Feuerwehr wird eine hohe Einsatzqualität, gerade auch hinsichtlich einer Lagebeurteilung, erreicht. Jeder Stoßtrupp ist mit so genannten Langzeit-Pressluftatmern ausgestattet, welche eine längere Atemluft-Versorgung und somit einen längeren Einsatz im Tunnel ermöglichen.

Um die Stoßtrupps optimal in den Einsatz bringen zu können, wurden so genannte Stoßtrupp-Einheiten gebildet. Jede der beiden Feuerwehren stellt zwei solcher Stoßtrupp-Einheiten, die wiederum jede zwei Stoßtrupps sowie einen Erkunder-Trupp (bestehend aus zwei Feuerwehrangehörigen zur schnellen Lageerkundung im Tunnel) zum Einsatz bringen können. Insgesamt können also pro Feuerwehr vier Stoßtrupps und zwei Erkundertrupps bereitgestellt werden, was den Mindestansatz an Einsatzkräften pro Tunnelportal bzw. Zugangsseite darstellt. Die interkommunale Zusammenarbeit der Feuerwehren Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen optimiert zudem den Personaleinsatz, sichert die Personalbereitstellung auch zu ungünstigen Tageszeiten und verringert die Beschaffungs- und Wartungskosten von feuerwehrtechnischen Geräten, wie den Langzeit-Atemschutzgeräten, da durch die Aufteilung auf zwei Feuerwehren weniger Geräte benötigt werden.

Die Stoßtrupps werden entsprechend der Aufgabe in Stoßtrupps für die Brandbekämpfung oder die Menschenrettung eingeteilt und ausgestattet. Die Brandbekämpfungsstoßtrupps haben die Aufgabe eine Brandbekämpfung durchzuführen und das Bauwerk zu kühlen, um überhaupt eine Menschenrettung im Tunnel durchführen zu können (Konzept: „Löschen, um zu retten“). Die Stoßtrupps zur Menschenrettung sind vor allem zum schnellen Auffinden und Retten von Menschen ausgebildet und ausgerüstet.  

Um die Stoßtrupp-Taktik vor der abschließenden Inkraftsetzung des Stoßtrupp-Konzeptes zu erproben, wurde die Großübung durchgeführt. Als Lage war angenommen worden, dass eine S-Bahn im Rahmen einer Einweisungsfahrt für neue Triebfahrzeugführer im S-Bahn-Tunnel aufgrund eines technischen Defekts im Antriebssystem bei Bahnkilometer 26,2 zum Stehen kam. Bei der Erkundung der Ursache bemerkten die DB-Mitarbeiter Brandrauch im Bereich des Unterbodens des S-Bahnzuges, so die Übungslage. Daraufhin alarmierte der Triebfahrzeugführer den Fahrdienstleiter, der die weitere Alarmierung der Feuerwehr über die Feuerwehrleitstelle Esslingen veranlasste. Aufgrund der Einweisungsfahrt der Triebfahrzeugführer befanden sich keine Fahrgäste in der Bahn, allerdings zehn (großteils durch Übungspuppen dargestellte) S-Bahn-Mitarbeiter. Es war den Einsatzkräften jedoch nicht bekannt, wie viele Personen sich im Tunnel aufhielten und wo sich diese befanden.

Der Übungsort wurde mit Bahnkilometer 26,2 an dem für die Feuerwehr ungünstigsten Ort des insgesamt rund 3000 Meter langen Tunnels gewählt: Denn die Entfernungen zu den beiden nächsten Notausstiegen an der Flughafenrandstraße sowie an der Rita-Maiburg-Straße in Filderstadt sind mit etwa 500 Metern lang – und fordern den vorgehenden Feuerwehrangehörigen alles ab. Zudem befindet sich die Strecke in diesem Abschnitt zwischen etwa 23 und 30 Metern unter der Erdoberfläche.

Die Feuerwehren gingen von den beiden Notausstiegen, also von zwei Seiten, zur Brandbekämpfung und zur Menschenrettung vor. Der Fokus lag dabei auf dem Konzept „Löschen, um zu retten“, denn in einem Tunnel muss die weitere Rauchentwicklung infolge eines Feuers schnellstmöglich unterbunden werden. Dies ist besonders wichtig, um eine Menschenrettung überhaupt erst durchführen und eine Schwächung des Bauwerks durch die Wärmeeinwirkung des Feuers unterbinden zu können.

Die Ziele dieser Übung waren die Überprüfung des neuen interkommunalen Gefahrenabwehrkonzeptes auf Grundlage der so genannten Stoßtrupp-Taktik, das Üben der Bahnerdung durch die Flughafenfeuerwehr Stuttgart, die Überprüfung der Organisation des neuen Gefahrenabwehrkonzeptes sowie der Kommunikationsstruktur, die Überprüfung der Zugänglichkeit der Notausstiege als Angriffsweg der Feuerwehr sowie die Überprüfung der vorhandenen Ausstattung zur Rettung und zur Brandbekämpfung im Tunnel.

Insgesamt waren rund 100 Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehren Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen, der Flughafenfeuerwehr Stuttgart (welche die Bahnerdung vertragsgemäß durchführt) sowie die Freiwilligen Feuerwehren Esslingen sowie Reichenbach/Fils mit Sonderfahrzeugen an der Übung beteiligt. Zur realen Übungssituation trug auch bei, dass – wie bei einem realen Schadenereignis – das Notfallmanagement der DB sowie der S-Bahn Stuttgart an der Übung sowie insbesondere in der Kommunikation der eingesetzten Einheiten beteiligt war und die realen Meldewege über die DB eingehalten worden sind.

Etwa 30 Fachleute aus verschiedenen Feuerwehren sowie die Oberbürgermeister von Filderstadt, Christoph Traub, und Leinfelden-Echterdingen, Roland Klenk, beobachteten die Übung.

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(Fotos: B. Bruder)